Geistlicher Impuls
„Ich bin da…“
Ein Kind! Ein Neugeborenes! Die Hände – ach, guck doch, wie niedlich. Die Füße – so klein, schau mal! Heute heißt es „Antrittsbesuch“. Eine Schar Menschen versammelt sich ums Bettchen, unter ihnen der alte Mann, von dem es heißt, dass er lang nicht mehr gelächelt hat. Dass er nie mehr als nur ein Brummen von sich gibt. Nun spricht er – und mit einem Mal purzeln die Worte nur so aus ihm und seinen Begleitern heraus: „Ach Kleines, schön, dass du da bist! Willkommen in dieser Welt! Ein kleines Kind, hilflos und schutzbedürftig. In einer Welt, die mir Angst macht. Ich wünschte, wir könnten dir etwas Anderes bieten als das, was ich im Moment wahrnehme: Unzufriedenheit und Rücksichtslosigkeit. Streit in den Familien und überall in der Welt. Manche wissen gar nicht, was überhaupt der Auslöser war für den Streit, den sie führen. Am schlimmsten ist es, wenn die Mächtigen streiten, denn dann sind es vor allem die einfachen Leute, die darunter leiden. Ach, Kleines, wenn doch nur Frieden wäre!“ „Ich kann gar nicht aufhören, dich anzusehen. Bestimmt sind deine Mama und dein Papa total vernarrt in dich. Weißt du was? Ich hatte auch einen Menschen, den ich gern hatte. Aber wir reden nicht mehr miteinander, seit Jahren schon reden wir nicht mehr miteinander. Wir gehen einander aus dem Weg, obwohl wir uns doch ständig sehen. Ich habe dieser Person sehr wehgetan. Und ich weiß einfach nicht, wie ich es wieder gut machen soll. Ich hoffe auf Vergebung.“„Noch bist du klein, kannst nicht krabbeln und nicht laufen. Bald aber bist du groß. Du wirst so viel erleben, hast das ganze Leben noch vor dir! Unsere Freundin hat ihr Leben verloren. Ich sehe sie immer noch vor mir und weiß zugleich: Sie ist nicht mehr da. Wir mussten Abschied nehmen und die Welt ist ein bisschen stiller und dunkler geworden ohne sie. Ich frage mich: Werden unsere Verstorbenen irgendwo gehalten? Haben Sie eine Zukunft? Und: Wird es ein Leben nach der Trauer geben?“ „Ich sehe dich an und direkt geht es mir besser. Normalerweise ist da so viel Angst in mir. Angst, nicht gut genug zu sein. Angst, dass die anderen über mich lachen könnten. Angst, dass meiner Familie etwas passieren könnte. Oder dass ich nicht richtig für sie sorgen kann. Woher soll ich nehmen, was sie doch so dringend brauchen, und wie soll ich für sie da sein und ihnen Sicherheit geben? Ich bin doch selbst so unsicher. In deiner Gegenwart geht es mir gut. Ich brauche einen, der mich kräftigt und stärkt und der mir Orientierung gibt.“
So standen sie da, die Hirten, und legten dem Jesuskind ihre Welt zu Füßen. Eben noch hatten sie das Gefühl gehabt, die ganze Last der Welt allein tragen zu müssen. Mit dieser Begegnung aber fühlten sie sich leichter, denn das Baby öffnete seine Augen, sah sie mit klugen Augen an, wie es nur Babys tun können. Dann lächelte es ein süßes, unschuldiges Babylächeln, das wie aus einer anderen Welt zu kommen scheint. Und es war, als würde es sagen: „Habt keine Angst. Ich bin doch da. Es wird alles gut. Das weiß ich.“ Amen.
Christine Vieth
online seit: 29.11.2024